Es ist 7:00 Uhr. Ich bin gerade aufgewacht und ich mache das, was ich jeden Morgen mache - den Radio an und Nachrichten hören. Dieses mal warte ich gespannt, ein wenig bange, aber überwiegend doch zuversichtlich auf die Neuigkeiten aus Großbritannien. Der Sprecher spannt mich auf die Folter und ich denke es ist ein gutes Zeichen. Doch so kann man sich täuschen: Wenige Sekunden später die unglaubliche Gewissheit, dass die EU ein Mitglied weniger haben wird.
So war das gestern. Wochenlang schwebte der Begriff Brexit wie das Damoklesschwert über uns. Und nun? Was bedeutet es, dass Großbritannien seine Mitgliedschaft gekündigt hat? Ich denke nicht, dass es der Anfang vom Ende der EU ist. Wirtschaftliche Veränderungen wird es geben, die sicherlich nicht unbedingt positiv sein werden. Das wirklich traurige aber ist, dass das, was die EU ausmacht - Frieden, etwas gemeinsam anpacken, für einander einstehen, das Leben länderübergreifend lebenswerter gestalten, ein gemeinsames Wertesystem zu haben - zur Seite geschoben wird, um wieder als Land für sich zu stehen. Es ist schon etwas anderes, ob man nie drin war oder ob man nach Jahren nicht mehr dabeisein möchte.
1999 war ich zum ersten Mal in England. In Bournemouth arbeitete ich als Kellnerin in einem Hotel. Meine Kollegen waren aus Bremen, Chemnitz und Bautzen; aus Italien, Frankreich, Marokko, Spanien und Österreich; aus Kanada, Finnland, Portugal und natürlich aus Großbritannien. Toll war das! Zwar total unterbezahlt (ich bin nach dem Abitur über eine Organisation an das Hotel vermittelt worden, besuchte 1x die Woche eine Englisch-Schule und musste mich um die Unterkunft nicht kümmern, nur um die Miete), aber mit all den Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern zu arbeiten, war eine großartige Erfahrung.
Und Südengland erst! Rosamunde Pilcher Verfilmungen schaue ich nur wegen der schönen Landschaft. Corfe Castle, Isle of Purbeck, Salisbury, Bath, Newquay, St. Ives - Orte, die bei mir noch immer das Kopfkino ankurbeln. Seit über zehn Jahren war ich nicht mehr dort und es ist wirklich an der Zeit, die Insel wieder zu besuchen.
Und ja, auch das Essen mochte ich. Damals war ich noch nicht Vegetarierin und fand das English breakfast (bis auf die Würstchen, die waren irgendwie gummiartig) klasse. Und erst die teatime! Sandwiches mit Gurken oder Hähnchen oder Lachs, scones mit clotted cream und Marmelade - mhm, war schon lecker und da ich in einem 4-Sterne-Hotel arbeitete, bekam ich fast täglich was gutes. Nach der Abendschicht, meist nach Mitternacht, kam es schon mal vor, dass wir zur Belohnung Köstlichkeiten aus der Pâtisserie probieren konnten.
Ich war von Juli bis November in Bournemouth. Wenn ich nach der Morgenschicht frei hatte und erst wieder am Abend im Hotel sein musste, habe ich es geliebt die knapp 3 Km am Strand zu meiner Unterkunft in Boscombe zu laufen und bis weit in den September hinein im Meer zu baden. Besonders malerisch wurde dieser Heimweg durch die Seebrücken (Bournemouth Pier und der damals noch marode Boscombe Pier) und die bunten Strandhäuschen, die ich klasse fand!
Wenn ich mir nun im Internet die Tourismusseiten meiner englischen Regionen anschaue, überkommt mich nicht Wehmut, sondern Neugierde: Wie mag es jetzt dort sein? Was hat sich verändert, was ist geblieben? Und wie würde es sich anfühlen wieder dort zu sein? Anders ist es beim Brexit, da bin ich schon ziemlich wehmütig und wünsche mir, dass das EU-Motto "In Vielfalt geeint" nicht nur theoretisch ist.
24 little hours... so viel kann sich an einem Tag verändern. Was bleibt anderes übrig als nicht aufzugeben und sich den englischen Spruch für inzwischen alle Fälle - Keep calm and carry on - zu eigen zu machen?
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