Wohnt hier etwa jemand und wenn ja - wer? Das waren die ersten Fragen, die mir in den Sinn kamen, nachdem ich das kleine rosa Haus beim Spazierengehen entdeckte. Etwas verwunschen, sehr ungewöhnlich und sogar ein wenig majestätisch steht es an der höchsten Stelle im Darmstädter Wolfskehlschen Garten, einem öffentlichen kleinen Park samt Spielplatz und Waldorfkindergarten. Ich machte mir so meine Gedanken und da ich sie meiner Schwester mitteilte, wusste ich wenige Tage später mehr.
Tania, eine Arbeitskollegin meiner Schwester wohnt seit einigen Jahren mit ihrer Tochter und ihren zwei Katzen in dem Haus. Und so klein, wie es scheint, ist es gar nicht: 100 Quadratmeter, sechs mal sechs Meter große Räume, die alle durch eine Wendeltreppe miteinander verbunden sind, teilen sich die Vier.
Das Erdgeschoss ist Küche, Esszimmer, Wohnzimmer und Tanias Schlafplatz in einem. Ein Stockwerk höher ist Erins Zimmer. Durch die sieben Fenster hat sie einen grandiosen Rundblick in alle Himmelsrichtungen. Im Räumchen unterm Dach, mit niedlich kleinen ovalen Fenstern, richtet sich Tania noch ein Refugium ein. Von dort geht es über eine Leiter hinauf und hinaus zum Belvedere, der mit seiner verschnörkelten Umrandung zum Weitgucken einlädt. Bis auf die Luke zum Ausguck gibt es zwischen all den Räumen keine Türen. Die werden von Tania und Erin auch nicht vermisst und dort, wo sie nötig sind, gibt es welche: im Keller - im Badezimmer und im Allzweckraum unter der Terrasse.
Die Geschichte rund ums Teehaus
Tania und Erin wohnen an einem geschichtsträchtigen Ort. Das Haus selbst wurde - wahrscheinlich nach Plänen des Architekten Georg Moller - 1819 gebaut. Damals ließ der Apotheker Friedrich Girsch das Teehäuschen als Lager für seine Birnen- und Apfelernte errichten, denn auf dem heutigen Parkgelände hatte er seine Obstplantage. 1880 kaufte die deutsch-jüdische Familie Wolfskehl die Plantage, machte aus ihr einen englischen Park und baute eine Villa.
Tania und Erin fanden heraus, dass das Teehäuschen zu der Zeit Treffpunkt von Dichtern und Schriftstellern war. So soll etwa Stefan George dort gewesen sein. Die Schauspielerin Martha Ziegler habe in den 1920ern im Teehaus gewohnt, das Paul Kornfeld zu dem Roman "Blanche oder das Atelier im Garten" inspiriert haben soll.
An die Familie Wolfskehl erinnert eine Gedenktafel des Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt, vor allem an Otto Wolfskehl (1841 - 1907), der als Politiker und Wohltäter in der Stadt bekannt war. Ihr Besitz wurde von den Nazis enteignet. Eduard Wolfskehl starb im KZ Frankfurt-Heddenheim. Sein Bruder, der Schriftsteller Karl Wolfskehl, floh nach Neuseeland. Die Villa der Familie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nur das Teehäuschen blieb erhalten.
Jedoch wusste die Stadt jahrzentelang mit dem Gebäude nichts anzufangen; es verfiel immer mehr. Als die Architektin Heidrun von Amende Anfang der 1980er das Teehaus in Erbpacht von der Stadt erwarb, war es eine Ruine. Die Fenster zugemauert. Der Dachstuhl eingestürzt. Saniert wurde es nach alten Fotos; alte Pläne gab es kaum. Die tiefen Risse in den bis zu 40 Zentimeter dicken Wänden wurden beseitigt, zwei neue Stahlbetondecken eingezocken. Der 25 Quadratmeter große Raum unter der Terrasse entstand. Eine Fußbodenheizung wurde eingebaut, Marmorplatten verlegt, der Dachstuhl erneuert und mit Schieferschindeln abgedeckt und auch das Belvedere wurde wieder errichtet.
Als Tania das unter Denkmalschutz stehende Haus 2006 Jahren kaufte, gab es trotzdem einiges zu tun. Mehrmals mussten die Wände gestrichen werden, der Marmorboden musste abgeschliffen und die Elektrik erneuert werden. Wände wurden eingezogen und das Bad neu gemacht. Viel hat Tania in Eigenleistung mit ihren Vater umgesetzt. Und für die Katzen hat sie sogar eine Katzenklappe vom Bad nach außen angelegt, die sie allerdings nicht nutzen.
Es grünt so grün - der Garten im Park
Rund um das Haus ist der Garten. Efeu wächst an der Fassade hinauf. Rosen und Lavendel blühen rosa und lila zwischen all den Grüntönen, die den Garten dominieren, der mit dem Park zu verschmelzen scheint. Bevor er zum kleinen Paradies wurde, hatte Tania viel Arbeit. Sie grub den knallharten kargen Boden um und bereitete alles vor, um 22 Rhododendren zu pflanzen. Überall hat sie für idyllische Sitzecken gesorgt. Es gibt eine Feuerstelle und einen alten Holzschuppen. Eine Treppe führt hinunter in den Park.
Für Tania ist ihr Teehaus wie eine Oase mitten in Darmstadt. Sie hat das Gefühl in einer anderen Welt zu sein und freut sich, in einem historischen Haus, im Grünen
in der Stadt leben zu können. In etwa 20 Jahren läuft die Erbpacht aus. Was dann ist, wird sich zeigen; Tania sieht der Zeit entspannt entgegen. Im nächsten Jahr wird erstmal gefeiert - ihren
50sten und den 200sten Geburtstag des Teehauses.
PS: Da sieht man mal wieder wie schwer es ist, Tiere zu fotografieren. Der hübsche Kater hätte sich eigentlich malerisch vor Tania und Erin legen sollen. Doch Pustekuchen! Der neugierige kleine Kerl wollte wissen, was ich da machte. Um mehr als eine Pfote aufs Bild zu bekommen, war ich einfach zu langsam. Und als ich soweit war, war er schon wieder weg. ;-)
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Marion (Samstag, 06 Oktober 2018 21:36)
Richtig schön!!!
Mona (Sonntag, 09 Mai 2021 12:34)
Habe als Kind immer in dem Park gespielt und das damals verfallene Teehaus war immer Anlass zu Gruselgeschichten. Toll das es jetzt so schön geworden ist und mit Leben gefüllt ist. Große Klasse.