400 Bücher hat sie gezählt. In ihrer kleinen Stadtwohnung mit Balkon. Schals, Einkaufsnetze und Socken strickt sie. Kümmert sich um ihre Pflanzen. Wenn sie mit der Hausordnung dran ist, wischt sie das Treppenhaus. Nimmt Pakete an. Kocht. Lebensmittel bringen Nachbarn mit, bei der Tankstelle um die Ecke kann sie bestellen und geht morgens in aller Frühe hin um niemanden zu begegnen. Ansteckungsgefahr. Sie passt auf sich auf. Meine Oma. 91 Jahre, Jahrgang 1928.
Ich brauch mir keine Sorgen zu machen. Sie kommt gut zurecht. Das sagt sie mir am Telefon. Und wenn es schwierige Tage gibt, dann denkt sie daran, dass sie den Krieg überlebt hat. Der Gedanke mag zwar blöd sein, sagt sie, aber er hilft ihr dann doch, weiterzumachen. Die Dinge des Lebens anzupacken. Zweimal wurde sie ausgebombt.
Jetzt, während der Corona-Krise, ist es bei ihr in der Straße sehr still. Der Durchgangsverkehr aus dem Odenwald ruht. Wach ist sie um fünf Uhr in der Früh trotzdem. Zu tun gibt es immer etwas. Langeweile kennt sie nicht. Allein sei sie, aber nicht einsam. Schon vor Jahren sagte sie diesen Satz. Soziale Distanz. Für manche eher die Regel als die Ausnahme. Nun Normalität für viele. Homeoffice, keine Kollegen, keine Kurse nach Feierabend. Bei uns in der Feriensiedlung sind die meisten Rollläden schon wieder heruntergelassen. Wir wohnen das ganze Jahr über hier, direkt hinterm Deich. Der Bäcker um die Ecke hat zu gemacht. Die Poststelle hat noch auf. Die Stille, der letzten Wochen, wenn der Wind ausblieb, bleibt. Keiner grillt. Niemand spielt Ball. Touristen können frühestens nach Ostern wieder kommen; die Bio-Kiste einmal die Woche direkt vor die Tür. Wir selbst dürfen weiterhin noch raus, Spazieren gehen, joggen, Radfahren. Und doch sind wir meist zu Hause. Zu zweit.
Wir haben einen Balkon. Südseite. Blauer Himmel. Krokusse blühen, Traubenhyazinthen. Ab und zu kommt eine Hummel zu Besuch. Ein wenig Nahrung auch für sie. Südostwind scheint ihr nicht viel auszumachen. Windgeschützt ist bei uns nicht, aber Sonne.
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