KANN DAS WEG? DIE SACHE MIT DEM AUSMISTEN

Wir haben Ferien und Zeit. Etwa fürs Ausmisten, wie so viele seit den Ausgangssperren. Wir finden eine kleine Broschüre von 1997. Da gab es noch die D-Mark. Ausgehtipps für Frankfurt, Stadtplan inklusive. Empfohlen wird die Gaststätte Mutter Ernst in Sachsenhausen. Das ist erwähnenswert, da wir erst neulich über das Lokal gesprochen hatten. Nach dem Telefonat mit einem ehemaligen Arbeitskollegen von Tom, das damit endete: Bei seinem nächsten Besuch im Rhein-Main-Gebiet, könne man doch mal wieder zusammen zu Mutter Ernst gehen… Doch Mutter Ernst gibt es nicht mehr, klärt der Kollege Tom auf. Aber erst seit kurzem. Nach 81 Jahren mussten sie schließen. Nicht wegen der Coronakrise, nicht aus Altersgründen oder weil es schlecht lief. Sondern, weil es ein Investor so will.

Mutter Ernst, so schreiben sie in der Broschüre von 1997, sei nach wie vor der Innenstadt-Treff für "Bänker, Blaumänner und Brünette". Rustikal und lecker. Seit Ende März ist das nun Geschichte. Der Pachtvertrag lief aus. Das Haus wurde verkauft. Der Abriss steht bevor. Geplant ist ein Neubau mit Geschäften und Wohnungen. Nun wird nach neuen Räumlichkeiten gesucht. Während der Coronakrise nicht ganz so leicht. 

 

Ich esse gerne vegetarisch, daher kannte ich das Lokal gar nicht, in dem deftige Frankfurter Gerichte angeboten wurden. Schade finde ich es trotzdem. Städte leben von der Lebendigkeit ihrer Geschichte. Es ist die Vielfalt, die Städte lebenswert macht.

 

Frankfurt war nie meine Stadt. Zu laut, schmutzig und protzig, Hochhäuser, Bahnhofsviertel voller Bänker und Unterweltler. Die Stadt überforderte mich. Für einen Frankfurtbesuch brauchte ich einen Plan, einen Laufplan oder ich nahm das Fahrrad mit in den Zug. Dann kam ich schnell raus aus den Ecken, die ich nicht mochte, fuhr über den Main, ging ins Städel und anschließend im herrlichen Park des Liebieghauses eine Kleinigkeit essen. Ich entdeckte den Freitagsmarkt im Gallusviertel, die Berger Straße und natürlich den Palmengarten. Es gibt einige sehr schöne Ecken. Und es gibt nicht nachahmenswerte Verdichtung ohne Ende. Das Europaviertel ist kubistische Zweckmäßigkeit. Gleichzeitig kann die neue Frankfurter Altstadt, eine Rekonstruktion, bestaunt werden. Ups, ganz schön vielfältig dieses Frankfurt am Main. Und Lebenswert?

 

U-Bahn, Straßenbahn, Flugverkehr, Verkehrsdichte, Staus. Das ist Frankfurt. Radfahren ist hier aber nicht viel anders, als in anderen Städten, egal ob diese groß oder klein sind. Fußgänger haben die Fußgängerzonen und die Bürgersteige. Radfahrer wurschteln sich überall irgendwie durch. Ach, es herrscht einfach fröhliches Chaos. Oder Vielfältigkeit.

 

Still und leer soll es in den Straßen der Stadt während der Ausgangsbeschränkungen sein. Wie muss sich das anfühlen, nun zu Fuß oder mit dem Rad seine Erledigungen zu machen? Die Frankfurter Luft soll so sauber sein wie auf der Nordseeinsel Norderney. Das hört sich nach einem ziemlich neuem Lebensgefühl an und nach viel Lebensqualität. Wie wird es wohl aussehen, wenn wieder mehr Normalität kommt?

 

Tempo 30 in der Innenstadt, ausgebaute Radwege, mehr Platz für Fußgänger und zum Flanieren? All das gab es doch, bevor der Hype ums Auto begann. Könnte es die Lösung einiger Probleme sein, nicht nur für Frankfurt? Immerhin: Mailand plant das und New York will sich von der italienischen Stadt beraten lassen.  Weg von der autogerechten Stadt und Weg frei für eine menschengerechte Stadt. Das wär' doch was.

 

Tja, was hat all das nun mit Mutter Ernst zu tun? Ein altes Haus wird abgerissen, damit Platz für was Neues entsteht. Wir misten zu Hause aus, um Platz für was Neues zu schaffen oder um wieder mehr Platz zu haben. Es geht um Lebensqualität und um Geschichte. Vielleicht findet der Wirt von Mutter Ernst ein neues Lokal. Vielleicht baut der Investor was lebenswertes, was bezahlbares, etwas mit Charakter. Ein Haus, das ins historisch gewachsene Umfeld passt. Mit Charme. Keinen hochgezogenen seelenlosen Klotz. Mehr als ein Dach überm Kopf. Individuell und keinen Einheitsbrei, wie es etwa im Frankfurter Europaviertel der Fall ist. Vielleicht entsteht ein Neubau, wo auf den Balkonen, vor den Fenstern, vielleicht sogar auf dem Dach und an der Fassade Pflanzen wachsen können, das Stadtklima was von hat und Menschen sich wohl fühlen, wenn sie an dem Haus vorbeigehen und es betreten. Vielleicht ensteht ein Meisterwerk der Architektur, das einfach gut tut. Wer weiß.


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